Paul Purps ist leidenschaftlicher Videospieler. Nahezu täglich spielt er auf seiner Konsole mit Freunden über das Internet. Dabei würde er auch gerne mit ihnen persönlich „eine Runde zocken“. Doch die Distanzen zwischen den Jugendlichen sind zu groß. Und Pauls Zeit zu knapp.

Paul Purps hat den Ball. Nach einem Pass von Aufbauspieler Eric Bledsoe lässt er einen Gegenspieler mit einer Körperdrehung wie eine Slalomstange stehen, bevor er einen weiteren Pass spielt. Dann positioniert er sich an der Dreipunktelinie. Bledsoe passt zurück zu Purps. Dreierwurf. Treffer. Tausende Anhänger der Milwaukee Bucks sind aus dem Häuschen. Sein Name schallt durch das Denverer Pepsi Center: Purps, Purps, Purps. Am Ende führt er sein Team mit 71 Punkten zum 90:68-Auswärtssieg gegen die Denver Nuggets. Vor allem Dreierwürfe sind seine Spezialität. 69 Prozent der Distanzwürfe haben gesessen und ihm den Titel „slashender Scharfschütze“ eingebracht.

Paul legt den Xbox-Controller mit breitem Grinsen aus der Hand. Das virtuelle Spielerlebnis ist für den Moment zu Ende. Er hat seinen Basketball-Avatar im Videospiel „NBA 2k19“ zum nächsten Sieg geführt. Seit Oktober 2018 ist es Teil seiner Videospielsammlung, in der sich auch Titel wie „Grand Theft Auto 5“ oder Teile der „Call Of Duty“-Reihe befinden. Diese zählen zu den weltweit am meisten verkauften Videospielen überhaupt, die den Entwicklern Milliarden an Einnahmen beschert haben.

Basketballspiele erfreuen sich eher einer geringen Beliebtheit – weltweit, aber auch in Deutschland. Hier ist der Sport in realer und Videospielwelt ein Nischensport. Das ist Paul reichlich egal, denn neben Bowling ist Basketball seit einer Weile die Sportart, die ihn begeistert. „Es ist ein rasanter, eindrucksvoller Sport. Vor allem das Dunken, bei dem Basketballer den Ball wuchtig mit den Händen in den Korbring stopfen, beeindruckt den 15-Jährigen. „NBA 2k19“ ist aktuell sein Lieblingsspiel, das er nahezu täglich spielt.

Videospiele verbinden Paul und seine Freunde

Dabei hat er an Weihnachten 2011 im Alter von acht Jahren seine erste Videospielkonsole geschenkt bekommen: eine Xbox 360. Dann folgte eine Nintendo Wii und eine Xbox One, die dem 15-Jährigen noch heute viel Freude bereitet.

An der Konsole macht Paul so schnell niemand etwas vor. Nicht beim Basketball und schon gar nicht bei seinem zweiten Lieblingsspiel: Fifa 2019, dem aktuellen Ableger der erfolgreichsten Fußballsimulation der Welt. Seit seiner ersten Konsole ist er Fan der Serie, die ihn dazu motiviert hat, selbst Fußball zu spielen. Auch verbindet es ihn mit seinen Freunden aus Paulinenaue, Nauen und seiner Schule in Rathenow. Über das Internet verabreden sie sich mehrmals pro Woche „auf ein paar Matches“, wie er sagt.

Über in die Videospiele integrierte Messenger tauscht sich Paul mit seinen Freunden aus und verabredet sich mit ihnen.

So ist um Paul ein Freundeskreis aus Jungen und Mädchen entstanden, der sich regelmäßig in WhatsApp schreibt und zum Spielen verabredet. Dass sie sich alle einmal persönlich sehen, funktioniert selten bis nie. „Das klappt höchstens einmal im Jahr“, sagt Paul. Zu groß seien die Distanzen, zu wenig Freizeit bleibe ihm neben der Schule. Drei Mal pro Woche fährt der 15-Jährige nach der Schule zum Bowlingtraining, ist Jugend-Nationalspieler und spielt seine erste Bundesligasaison für den TSV Chemie Premnitz. Das führt ihn und sein Bowlingteam an Wochenenden nach Ludwigshafen, Bamberg oder Mannheim. Bei der Frage, ob er seinen WhatsApp-Freundeskreis am liebsten einmal im Monat treffen würde, strahlt er: „Das wäre gar nicht mal so übel.“

Gleichaltrige, die mit ihm an seiner Konsole spielen, gibt es in seinem Heimatdorf Jahnberge nicht, dem kleinsten Ortsteil der Gemeinde Wiesenaue im Landkreis Havelland. Zwar habe er auch schon seine Schwester Maya oder seine Mutter zu einer Runde Fifa bewegt, „denen das aber nicht so Spaß macht. Gegen sie habe ich haushoch gewonnen.“

Dabei sehen es seine Eltern nicht so gerne, wenn er Videospiele spielt, die ihn jede Woche mehrere Stunden an den Fernseher fesseln. „Ich kann das verstehen. Sie sind nicht überzeugt, weil sie selbst nicht an Konsolen spielen und keine Erfahrungen damit gemacht haben“, vermutet der 15-Jährige.

Bowling als Beruf für Paul keine erste Option

Sie sehen häufig nur ihren Sohn vor dem Fernseher lümmeln, obwohl er dann neben der sozialen Interaktion mit Freunden körperlich aktiver ist, als es scheint. So beanspruchen Videospiele beide Gehirnhälften, um ein Problem zu lösen oder ein Duell für sich zu entscheiden und schütten im Erfolgsfall das Glückshormon Dopamin aus. Gleichzeitig belegen Studien, dass sie die Hand-Augen-Koordination der Spielenden, deren Vorstellungskraft, Reaktionsvermögen und das vorausschauende Denken verbessern. Möglich also, dass Videospiele auch zu Pauls Erfolgen beim Bowling beitragen.

Anfang Januar spielte er das „Turnier seines Lebens“, wie Peter Lorenz zusammenfasst, sein Trainer beim TSV Chemie Premnitz und deutscher Bundestrainer. Mit einem Schnitt von 253 umgeworfenen Bowling-Kegeln beendete er die „Open New Year Challenge“ (ONYC) auf dem zweiten Platz und hat sich ein Ticket für die Junioren-Europameisterschaft im April 2019 gesichert, bei der Paul Deutschland in Wien vertritt. „Ich bowle so viel ich kann, um meine Form zu halten und noch besser zu werden“, sagt der 15-Jährige.

Nebenher macht Paul seinen Bowling-Trainerschein und hat große Lust auf den Motorradführerschein: „Darauf habe ich echt Bock, um nicht mehr mit dem Schulbus fahren zu müssen“, sagt er. Ein Taxi bringt ihn an Schultagen erst von Jahnberge nach Friesack, von wo er mit dem Bus weiter zu seiner Schule nach Rathenow fährt. So ist der 15-Jährige für den Schulweg mindestens zwei Stunden unterwegs. Zeit, die Paul in den nächsten Schuljahren sparen möchte.

Der 15-Jährige will sein Abitur machen. „Ich habe im vergangenen Jahr meine Leistungen verbessert. Nachlassen kommt nicht infrage. Ich möchte noch besser werden“, sagt Paul. Das hängt auch mit dem Beruf zusammen, der ihm gefällt: Er möchte Polizist werden. „Das ist ein cooler Job, bei dem man Verantwortung übernimmt. Das mag ich.“ Mindestens genauso gerne möchte er das Bowlen zu seinem Beruf machen. Dennoch bleibt das für Paul Purps im Moment nur ein Plan B, wenn auch ein reizvoller.

Von Fabian Lamster