Zuhause bei Paul

In Jahnberge, dem Heimatdorf von Paul Sullivan Purps gibt es keine Kinder im gleichen Alter, keinen Volleyball- und keinen Bolzplatz. Paul gefällt es trotzdem, er genießt die Weite. Ein Gang durch den Ort.

Mit dem Haus im Rücken blickt Paul nach links und sieht die Straße. Er schaut nach rechts – und sieht die Straße. Die Sonne steht schon tief, es ist ein warmer Septemberabend in Jahnberge, dem kleinsten Ortsteil der Gemeinde Wiesenaue im Landkreis Havelland. Die Lindenstraße, an der der Ort mit rund 40 Wohnhäusern liegt, ist ein Abschnitt der L17 zwischen Warsow und Lobeofsund.

Nala, die Familienhündin, steht hellwach und erwartungsvoll neben dem 15-Jährigen und stubst mit ihrer Nase einen Tennisball an, der vor ihr liegt. Wirf endlich, sagt sie mit ihren Augen. Paul bückt sich, greift nach dem Ball, holt aus und schleudert ihn, so weit es geht, auf das Grundstück zurück – der Border Collie saust hinterher und verschwindet in einer Staubwolke.

Ruhig ist es um diese Zeit, still eigentlich. Obwohl Pauls Familie direkt an der Landstraße wohnt, kommen gerade nur wenige Autos vorbei. Auch andere Menschen sieht man nicht – zumindest nicht auf den ersten Blick. Bei einem Spaziergang entlang der L17 entdeckt man in den weitläufigen Gärten der großen Anwesen Familien, Bekannte, Freunde, die zusammensitzen und grillen.

Ein Gang durch den Ort

„Los geht’s“, ruft Pauls kleine Schwester Maya, acht Jahre alt, und saust los mit ihrem neongrünen Plastikskateboard, raus aus der Einfahrt und rechts die Straße hinunter. Sie und Paul machen in der Abendsonne einen Gang zur Buswendeschleife. „Man kann es aushalten hier“, sagt ihr großer Bruder. „Ich wäre gerne näher an der Stadt, aber das Schlechteste ist es nicht.“

„Man kann es aushalten hier. Ich wäre gerne näher an der Stadt, aber das Schlechteste ist es nicht.“

Paul Sullivan Purps

Auf dem Weg kommen die beiden am Gemeindehaus des Ortes vorbei. „Hier gibt es manchmal Treffen, zu denen das ganze Dorf zusammenkommt“, sagt er. Weihnachtsfeste, Osterfeuer und andere gemeinsame Feiern werden hier abgehalten. Direkt nebenan steht ein stark verfallenes Haus, es ist mit Sträuchern überwuchert und hat große Löcher im Dach – ein bisschen sieht es aus wie das Haus des Bären und des Tigers aus Janoschs Erzählung „Oh, wie schön ist Panama“, die sich auf die Reise nach dem schönsten Wohnort machen und letztendlich feststellen, dass es zuhause doch am besten ist. „Da wohnt schon lange niemand mehr“, sagt Maya und kniet sich auf das Skateboard.

Auch die Feuerwache ein paar Häuser weiter hat schon vor langer Zeit die Türen geschlossen, von dort starten keine Einsätze mehr. Schräg gegenüber liegt die Dorfkirche. „Da waren wir mal auf einer Hochzeit eingeladen, sonntags ist da immer Gottesdienst“, erzählen die Purps-Kinder.

Eine Jugend auf dem Land

Vor vier Jahren sind Paul und Maya von Göhlsdorf in Potsdam-Mittelmark hierhergezogen. Was gefällt ihnen an Jahnberge? „Die Weite“, sagt Paul. „Die Ruhe.“ Mit Nala sind die Geschwister viel unterwegs, gehen mit ihr in den Feldern und auf den Wegen rundherum spazieren, wo die Landschaft bis zum Horizont reicht. Nicht weit entfernt liegt ein Waldgebiet, der Haupt- und Grenzkanal verläuft unweit des Wohnhauses. „Ich mag unseren Garten“, sagt Maya, und das kann man verstehen: zwei Hektar Land gehören der Familie Purps, die riesige Grasfläche mit einigen Nadelbäumen, viel Platz zum Spielen und einem Swimmingpool lädt dazu ein, viel draußen zu sein und sich dort auszupowern. Das Grundstück liegt direkt neben dem Friedhof. „Das sind nette Nachbarn“, sagt Paul und lacht. Vermisst er hier etwas?

„Der Kontakt zu anderen Leuten in meinem Alter fehlt mir hier“, gibt der Junge zu, der Ende August seinen 15. Geburtstag gefeiert hat. Im Ort wohnen acht Kinder, keines davon ist in seinem Alter. Aber auch für sie gibt es hier nichts, keinen Spielplatz, keinen Volleyballplatz, keinen Bolzplatz. Das fehlt den Kindern als Treffpunkt, als gemeinsamer Anlaufort. „Ich bin aber eigentlich auch wenig zuhause, und wenn ich hier bin, dann langweile ich mich selten“, meint Paul.

Mehrmals in der Woche kommt er nicht vor 17 Uhr heim, weil er neben der Schule weiterhin viel Zeit in das Bowlingtraining steckt.Bei den Deutschen Meisterschaften im Mai hatte Paul in verschiedenen Disziplinen wieder auf dem Siegertreppchen gestanden: Im Doppel wurde er Deutscher Meister, im Team und den Einzel Masters erreichte er jeweils Silber. Bei der Einzelqualifikation schaffte er es auf Platz Vier. „Zur Bronzemedaille haben mir neun Pins gefehlt, das war bitter“, sagt der ehrgeizige Sportler. Sein nächstes Ziel sind die Europameisterschaften 2019 in Riga. „Dafür muss ich mich jetzt innerhalb des Nationalkaders qualifizieren“, erzählt Paul. Außerdem ist er gerade dabei, einen Trainerschein zu machen, wofür er immer wieder Seminare besuchen muss. „Ich habe Lust dazu, es macht Spaß.“

Der Bus fährt nur Richtung Fehrbellin

Die beiden erreichen die Wendeschleife für den Bus am Ende der Ortsstraße. An der Bushaltestelle ist ein Schild aufgebaut, das den Ort als guten Beobachtungspunkt von Kranichen ausweist. Die Zugvögel machen auf den Feldern von Jahnberge in Sichtweite während ihrer Reise in den Süden regelmäßig Halt. Von hier aus fährt ein Bus mehrfach am Tag nach Fehrbellin.

„Zum Einkaufen fahren wir mit dem Auto nach Friesack“, sagt Paul. Auf die Fahrdienste seiner Mutter ist er sehr stark angewiesen. „Ohne sie würde es gar nicht gehen.“ Morgens um 5.50 Uhr holt ihn ein Taxi zuhause ab und bringt ihn nach Friesack. Von dort fährt er mit dem Bus zu seiner Schule nach Rathenow. Seine Schwester Maya geht in Friesack in die dritte Klasse einer Grundschule.

„Jetzt bin ich 15, das heißt, ich kann jetzt den Mofa-Führerschein machen“, sagt Paul. Informiert hat er sich schon darüber. „Komm, wir gehen zurück“, sagt Maya und lenkt das Skateboard in die Richtung, aus der die beiden gekommen sind, dorthin, wo Hündin Nala schon sehnsüchtig mit ihrem Tennisball auf sie wartet.

Von Christina Koormann