Seit einem Jahr jobbt Ireen Beyer neben ihrem Tiermedizin-Studium in einer Veterinärpraxis in Berlin-Neukölln. Sie sitzt am Empfang, pflegt die Kundendaten und assistiert bei chirurgischen Eingriffen. Hier ist sie auch ihrem eigenen Kater Blackjack begegnet. Der muss heute selbst zur Untersuchung.
Angst vor dem Tierarzt hat Blackjack nicht. Ireen öffnet die Klappe seiner Transportbox und ihr kleiner schwarzer Kater flitzt durch das Wartezimmer. Er schnuppert an Stuhlbeinen, springt auf den Empfangstresen und lässt sich schnurrend sein glänzendes Fell kraulen.
Blackjack ist heute zur Untersuchung beim Tierarzt, Ireen hat ihn zu ihrer Schicht mitgebracht. Seit knapp einem Jahr arbeitet sie als studentische Aushilfe in der Tierarztpraxis Bello und Co. im Berliner Stadtteil Neukölln. Neben ihrem Tiermedizinstudium an der Freien Universität sorgt Ireen zwei- bis dreimal in der Woche für einen reibungslosen Ablauf im Praxisalltag. Sie kümmert sich um die Patientenaufnahme, vereinbart Termine und assistiert bei Operationen und Behandlungen.
Bis zu 35 Patienten pro Tag behandelt das Team von Bello und Co.
Die Praxis ist in einem nüchternen Zweckbau im Süden von Neukölln untergebracht. Hier in Rudow prallen Großstadt und ländliche Idylle unvermittelt aufeinander. Hinter den Veterinären beginnt eine Siedlung mit kleinen Einfamilienhäusern, auf der anderen Straßenseite erheben sich die zehngeschossigen Plattenbauten der Gropiusstadt. Zu Bello und Co. kommen Menschen und Tiere aus beiden Welten.
Im Schnitt behandelt das siebenköpfige Team aus zwei Ärzten, zwei Helferinnen, zwei studentischen Aushilfen und einer Auszubildenden etwa 20 Patienten am Tag. An vollen Tagen können es auch schon mal 35 sein. Anders als die meisten Tierarztpraxen verfügt Bello und Co. verfügt über umfangreiche diagnostische Möglichkeiten, wie eigene Röntgen- und Ultraschallgeräte, im hauseigenen Labor können Blutproben noch vor Ort analysiert werden. Die Praxis hat sieben Tagen die Woche geöffnet. Von 20 bis 22 Uhr bietet sie zudem einen Notdienst an. Die häufigsten Patienten sind Hunde und Katzen, aber auch Kaninchen, Meerschweinchen, Schildkröten und ab und zu auch mal ein Vogel.
„Die Tiere, die wir hier behandeln, sind Familienmitglieder“
Je nach Tierart müssen die Veterinäre unterschiedliche Behandlungsmethoden anwenden, erklärt Ireen. Hunde seien zum Beispiel ruhiger, wenn ihre Herrchen oder Frauchen sie festhalten, Katzen nutzen die Unsicherheit ihrer Besitzer hingegen aus und flüchten, sobald der Behandlungstisch in Sichtweite ist. Die Besitzer von Schildkröten wüssten oft nicht, wie sie ihren Tieren Tabletten geben sollen, sagt Ireen und nimmt Black Jack vom Empfangstresen. Ihre Methode: „Schnabel auf und rein.“
Bevor Ireen selbst anfängt zu arbeiten, checkt Tierärztin Miriam Sen ihren Kater durch. Behutsam setzt Ireen Blackjack auf den Untersuchungstisch und streichelt ihn hinter den Ohren, während Sen seinen Bauch mit dem Stethoskop abhört. „Die Tiere, die wir hier behandeln, sind in der Regel Familienmitglieder“, sagt sie. Manche begleitet das Team von Bello und Co. ihr ganzes Leben lang – von der ersten Impfung bis zur Einschläferung.
Drei bis vier Mal in der Woche müssten die Ärzte ein Tier von seinem Leid erlösen, sagt Miriam Sen, sei es wegen eines Verkehrsunfalls oder einer unheilbaren Krankheit. Ireen war schon oft dabei, wenn ein Haustierleben zu Ende ging. Erst vor kurzem musste der Kater einer älteren Kundin eingeschläfert werden. Das Tier war ihr jahrelanger Begleiter. Bei einer Routineuntersuchung hatten die Veterinäre einen bösartigen Tumor unter seiner Zunge entdeckt, eine Therapie war nicht möglich. „Da musste ich rausgehen, weil ich es so traurig fand“, sagt Ireen.
Auch Blackjack hat sie zum ersten Mal bei Bello und Co. getroffen. Der Kater ist ein Findelkind. Im Frühjahr brachte ihn eine Frau in die Praxis. Sie hatte ihn und seine zwei Geschwister auf der Straße gefunden. Damals war er gerade einmal drei Wochen alt. Viel zu früh, um von der Mutter getrennt zu werden, wie Ireen sagt. Was mit ihr passiert ist, weiß niemand. Während Blackjacks Geschwister bei der Finderin bleiben, kommt er bei Ireen unter. Sie gibt ihm ein zu Hause und zieht ihn mit der Flasche auf.
Eigentlich wollte Ireen ihn nur aufpäppeln, bis er fit genug ist, um weiter vermittelt zu werden. Doch irgendwann verlor sie ihr Herz an den kleinen Kater. Heute ist Blackjack sieben Monate alt und fühlt sich in Ireens Obhut sichtlich wohl. Er ist verspielt, zutraulich und sein gesundes Fell fühlt sich an wie schwarze Seide. Morgen will sie in ein Tierheim in Zossen fahren, um einen Spielkameraden für ihn zu finden.
Ein herrenloser Hund taucht in der Praxis auf – Alltag beim Tierarzt
Am Ende der Untersuchung wird es für Blackjack unangenehm. Tierärztin Miriam Sen muss seine Analbeutel ausdrücken. Das sind Drüsen am Hinterteil von Katzen und Hunden, die sich mit Sekret füllen und entzünden können, wenn sie nicht behandelt werden. Blackjack faucht und schreit, während Sen das Sekret entfernt. Ireen muss ihn im Nackenfell greifen, damit er ruhig bleibt. „Tut mir leid, Flauschi“, entschuldigt sie sich bei ihrem Kater. Es sei schon etwas anderes, die eigene Katze auf dem Tisch liegen zu sehen, sagt sie.
Kurze Zeit später erholt sich Blackjack in seiner Transportbox von dem Schrecken der Analbeutelbehandlung. Plötzlich klingelt es an der Tür. Die Nachmittagssprechstunde hat noch nicht angefangen, die Praxis ist eigentlich geschlossen. Vor der Tür steht eine Mann Mitte 60 mit weißem Bart und schwarzer Latzhose. „Ich habe gerade einen Hund auf der Straße gefunden“, sagt er, „er sitzt bei mir im Auto und ist ganz verschreckt.“
Eine Tierarzthelferin wirft einen Blick in den Kofferraum. Zwischen Kisten und Brettern sitzt ein großer brauner Mischling mit kurzem Fell und zittert vor Angst. „Simba, was machst du denn für Sachen?“, sagt sie. Sie kennt den Hund und seine Besitzerin. Beide kommen seit Jahren zu Bello und Co. Ein Anruf und Simba ist wieder zu Hause. Ein paar Jugendliche hatten in einem Waldstück in der Nähe Böller gezündet, während er auf seiner Gassirunde war. Der Hund geriet in Panik und riss sich los. „So etwas ist Alltag in einer Tierarztpraxis“, sagt Ireen.
Von Feliks Todtmann