Das erste Semester ist geschafft. Seit einem halben Jahr studiert Ireen Beyer Tiermedizin an der Freien Universität Berlin. Zwischen Chemieprüfungen und Anatomiekursen versucht sie, noch Zeit für ihr Pferd, den Nebenjob und ihre Beziehung zu finden – keine leichte Aufgabe für die 18-Jährige.

Es ist Montagmorgen, 10 Uhr. Ireen Beyer steht im Foyer des Instituts für Veterinär-Anatomie in Berlin-Dahlem und wartet darauf, dass die Türen zum Hörsaal aufgehen. Seit Oktober studiert Ireen Tiermedizin an der Freien Universität Berlin. „Ich hatte schon immer eine Beziehung zu Tieren“, sagt sie, „als Kind wollte ich Tierärztin werden.“

Hinter ihr, in einer Glasvitrine, steht das Skelett eines Pferdes. „Condé. Lieblingspferd Friedrichs des Großen“, steht auf einer Tafel. Vor Kurzem hat Ireen die zweite von drei Anatomieprüfungen in diesem Semester bestanden: Gliedmaßen von Fleischfressern. Zur Vorbereitung haben sie und ihre Kommilitonen wochenlang einen Katzenkörper seziert. Die ersten Hürden des Studiums hat sie genommen.

Am Montag Schädel, am Mittwoch Gehirn

Ireens Uni-Tag beginnt heute mit einer Vorlesung. Nach und nach füllt sich der Hörsaal mit den Nachwuchs-Tierärzten. Ireen sitzt in einer der vorderen Reihen. „Man muss früh da sein, damit man noch einen Sitzplatz bekommt“, sagt sie. Das Thema heute: Der Schädel von Fleischfressern.

 „Das Kopfskelett bildet eine stabile, nicht deformierbare Kapsel“, erklärt die Dozentin. In rasantem Tempo führt sie durch die Anatomie des Hundeschädels. Hirnkapsel, Schläfenbein, Felsenteil – die Begriffe prasseln nur so auf die etwa 140 Studierenden ein. Sie versucht, möglichst viel Stoff in ihrer Vorlesung unterzubringen, am Mittwoch ist das Gehirn dran.

Sieben Prüfungen – allein im ersten Semester

„Am Anfang des Studiums beginnen wir mit Kleintieren, ab dem dritten Semester behandeln wir die größeren Tiere“, sagt Ireen. Nach dem Studium würde sie gern Landtierärztin werden, mit Pferden und Rindern arbeiten. „Irgendwann einmal in einer Kleintierpraxis in der Stadt zu stehen und Hunde zu impfen, das kann ich mir nicht vorstellen.“

„Für mich ist es ein großes Privileg, Tiermedizin studieren zu dürfen.“

Ireen

Bis dahin ist es jedoch noch ein weiter Weg. Allein im ersten Semester muss Ireen sieben Prüfungen bestehen: drei in Anatomie, jeweils eine in Histologie, Zoologie, Chemie, Physik. Nach dem zweiten Semester kommt das Vorphysikum, nach dem vierten das Physikum, die Zwischenprüfung für angehende Mediziner.

Durchfallen ist für Ireen keine Option: „Man hat theoretisch pro Prüfung drei Versuche, aber dann muss man sie später nachholen, wenn man eigentlich für etwas anderes lernen muss.“ Für viele ihrer Kommilitonen ist der Prüfungsdruck zu hoch. Von 180 Studienanfängern sind 40 noch vor Ende des ersten Semesters ausgestiegen.

Eine Stunde mit Bus und Bahn zur Uni

Ireen wohnt in Rangsdorf. Zur Uni in Berlin ist es für sie ein weiter Weg. Meistens fährt sie morgens mit dem Motorroller zum Bahnhof in Rangsdorf. Von dort geht es mit der Regionalbahn nach Lichterfelde Ost und dann mit dem Bus weiter nach Dahlem. Je nach Verbindung ist sie über eine Stunde unterwegs.

Nach der Vorlesung geht es in den Präparationssaal. „Montag ist immer Präp-Tag“, sagt Ireen. Sie zieht sich einen Laborkittel und ein paar Gummistiefel an. Die 140 Studierenden, alle in weißen Kitteln, verteilen sich um zwei Dutzend Präparationstische aus Edelstahl.

Jedem Tisch ist ein Präp-Coach zugeordnet, Studierende aus den höheren Semestern, die die Neuen unterstützen. Etwa eine Handvoll Mitarbeiter und Dozenten des Lehrstuhls kümmern sich um die  Nachfragen der angehenden Tiermediziner.

Die älteren Semester unterstützen die Neuen

Um auseinanderhalten zu können, wer Dozent und wer Student ist, tragen die verschiedenen Gruppen Kittel in unterschiedlichen Farben, wie auf einem Flugzeugträger: weiß für die Studierenden, blau für die Präp-Coaches und grün für die Dozenten und Mitarbeiter.

Ireen ist jetzt 18, sie hat direkt nach dem Abitur mit dem Studium angefangen. Das sei die Ausnahme, wie sie sagt. „Viele nehmen sich nach dem Abi erst einmal eine Auszeit, verreisen oder wollen sich orientieren.“ Ireen wollte gleich studieren.

Pferd, Beziehung, Nebenjobs – Ireen hat immer etwas vor

Neben der Uni versucht sie ihre Zeit so gut wie möglich zu nutzen: Sie besucht ihr Pferd d’Artagnan auf einem Reiterhof in Schenkendorf, einem Nachbarort von Königs Wusterhausen oder verbringt Zeit mit ihrem Freund, mit dem sie seit einem Jahr zusammen ist.

Und sie hat zwei Jobs: Regelmäßig gibt sie Reitunterricht in Rangsdorf und arbeitet als Aushilfe in einer Tierarztpraxis. Unter ihren Kommilitonen sei sie damit eher die Ausnahme, glaubt sie: „Viele sagen, dass man neben dem Tiermedizinstudium keine Zeit mehr hätte, um arbeiten zu können. Aber ich muss und will mein eigenes Geld verdienen.“

Auf Ireens Tisch im Präpsaal liegen Hunde- und Katzenschädel. Die einzelnen Teile, die in der Vorlesung behandelt wurden, können die Studierenden jetzt am echten Exemplar nachvollziehen.  „Langköpfige Hunde sind zum Beispiel Windhunde, mittelköpfige Dalmatiner und kurzköpfige Bulldoggen“, erklärt Ireen.

Vorbereitung ist alles

Anatomie ist eines ihrer Lieblingsfächer. „Man kriegt ein Verständnis für die Zusammenhänge im Körper.“ Das meiste kennt Ireen schon, sie hat am Wochenende vorgearbeitet. Ihre Karteikarten hat sie sauber beschriftet und alles Wichtige mit Textmarkern markiert. Eine Kommilitonin lacht: „Warum bist du eigentlich so eklig gut vorbereitet?“

Praktikum in den Semesterferien

In den Semesterferien hat Ireen auch nicht frei: Dann steht ein Landwirtschafts-Praktikum an. die Arbeit auf einem echten Hof kennenlernen. Dafür wohnt sie für zwei Wochen auf einem Dorf bei Neuruppin. Uni, Beziehung, Hobby, Arbeit – das alles verlangt viel Organisation, doch Ireen ist guter Dinge, dass sie alles unter einen Hut bekommt und trotzdem Erfolg im Studium hat. „Ich war schon immer zielstrebig“, sagt sie.

Nach dem Präp-Kurs geht es für Ireen weiter zur Histologievorlesung. Ihr Uni-Tag endet heute gegen 16.30 Uhr. An manchen Tagen kommt sie erst um 18 Uhr aus dem Hörsaal. Mit Bus, Bahn und Roller fährt sie dann noch etwa eine Stunde nach Hause. Die Bücher für die nächsten Vorlesungen warten schon auf sie.

Von Feliks Todtmann