Die Milchproduktion ist die wichtigste und größte Abteilung der Agrargenossenschaft, auf der Jean arbeitet. In der hoch-modernen Melkanlage arbeiten jedoch nur wenige Menschen. Roboter übernehmen mehr und mehr die Aufgaben.

Die Kuh trottet gemächlich durch den Gang in Richtung Melkstand. Ihr Euter ist so prall, dass es kaum zwischen ihre Hinterbeine zu passen scheint. Sie läuft ein wenig staksig, denn bei jedem Schritt schlenkert das Euter wild hin und her. Rund 30 Liter Milch trägt sie mit sich herum. Auf einer gelben Marke an ihrem Ohr sieht man ihre Nummer: 22 390. Einen richtigen Namen hat sie nicht. Nummer 22 390 ist eine von 1400 Milchkühen der Agrargenossenschaft Karstädt in der Prignitz.

Die Milchkuh mit der Nummer 22 390
Der Landwirt Jean Nikisch zeigt am 24.01.2019 für das MAZ Jugendprojekt die Molkerei und Viehhaltungsanlagen seines Agrarbetriebes. Foto: Friedrich Bungert

Am Melkstand angekommen, reiht sich 22 390 hinter ein paar anderen wartenden Kühen ein. Die Tiere stehen im Tor zu einer etwa 25 mal 25 Meter großen Halle mit grauen Wänden, in der sich der hochmoderne Melkstand der Agrargenossenschaft befindet. Der typische Geruch eines Kuhstalls mischt sich hier mit dem von Gummi und Plastik, der von den feuchten Melk-Apparaten und einem Roboter-Arm stammt, der aussieht, als komme er direkt aus einer modernen Auto-Fabrik aus Wolfsburg und die Kuh-Euter automatisch mit Reinigungsmittel besprüht.

Mitten in der Halle dreht sich ganz langsam ein riesiges Karussell mit 50 Kuh-Stehplätzen, an denen die Tiere zwei Mal am Tag automatisch gemolken werden. Geduldig wartet 22 390 darauf, dass sie an der Reihe ist und einen freien Stehplatz auf dem Karussell betreten kann.

Der Landwirt Jean Nikisch zeigt am 24.01.2019 für das MAZ Jugendprojekt die Molkerei und Viehhaltungsanlagen seines Agrarbetriebes. Foto: Friedrich Bungert

Wenn sie fertig ist, wird sie durch eine Art Sandsack sanft vom Karussell herunter geschoben werden und darf wieder zurück in den Gang trotten, aus dem sie gekommen ist. Während des gesamten Melk-Vorgangs, der etwa 20 Minuten dauert, wird keine menschliche Hand sie berührt haben. Wahrscheinlich wird sie außer den Geräuschen der Melkmaschine und dem gelegentlichen Muhen einer Artgenossin nicht mal eine menschliche Stimme gehört haben.

Aber Menschen sind da. Pro Schicht immer mindestens zwei Personen, die aufpassen, dass die Melkmaschinen funktionieren. Warum streicheln sie nicht mal eine der Kühe, die an ihnen vorbei fahren?

Kühe auf dem Melk-Karussell der Agrargenossenschaft Karstädt.

„Kühe sind bei uns Nutztiere, das darf man nicht vergessen“, sagt Jean Nikisch. Der 19-jährige Landwirt arbeitet seit drei Jahren in der Agrargenossenschaft und erklärt, warum er keine emotionale Bindung zu den Tieren aufbaut: Wenn eine Kuh sich an Streicheleinheiten gewöhnt, braucht sie möglicherweise vor jedem Melkgang eine Extra-Aufforderung durch ihren Lieblingsmenschen. Das dauert lange und kann bei 1400 Kühen und zwei Mitarbeitern pro Schicht nicht funktionieren. Das Karussell in der großen Halle steht schließlich fast nie still – der Tag ist komplett durchgetaktet.

Ein moderner konventioneller Landwirtschaftsbetrieb ist ein sehr effizientes System. Maschinen wie das Melk-Karussell sollen Menschen dabei nicht ersetzen, sondern entlasten, sagt Jean. „Man sollte sich trotzdem nicht von der Natur entfremden, denn am besten klappt es, wenn wir mit den Tieren zusammenarbeiten.“

Der schlechte Ruf der Landwirte

Die konventionelle Landwirtschaft steht schwer in der Kritik. Umweltaktivisten werfen den Bauern vor, an verseuchte Böden und Insektensterben Schuld zu sein. Die Massentierhaltung hat seit Jahren einen sehr schlechten Ruf. Das bekommt auch Jean mit. Neben den Milchkühen gibt es auf dem Hof der Agrargenossenschaft noch 1500 Jungrinder und 3500 Hektar Feld, das bewirtschaftet werden muss.

Jean wünscht sich, dass sein Beruf in der Bevölkerung mehr Anerkennung bekommt. „Die Leute sehen nur die Produkte im Supermarkt, nicht den Landwirt dahinter“, sagt er. Trotzdem geht er bei Feierabend mit einem guten Gefühl nach Hause. „Wir Landwirte können stolz auf unsere Arbeit sein, denn wir ernähren das ganze Land“, sagt Jean. Tatsächlich produzieren deutsche Bauern insgesamt sogar mehr Getreide und Milch, als im Inland gebraucht werden. Deshalb ist Deutschland der drittgrößte Agrarexporteur der Welt, das belegen Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.

Jean Nikisch

Die Kuh 22 390 ist inzwischen fast eine komplette Runde mit dem Melk-Karussell durch die Halle gefahren. Gerade kommt sie am Roboter-Arm vorbei und lässt sich ihr inzwischen geleertes Euter mit einer reinigenden Lösung besprühen. Jean gibt ihr einen kleinen Klaps auf den Rücken, als sie sich auf den Weg zurück in den Stall macht. „Ab und zu ist eine Berührung auch mal ok“, sagt er und lächelt.

Von Jonas Nayda