Neu und gewohnt
Eine neue Schule heißt immer zuerst: zurechtfinden, kennenlernen, eingewöhnen. Friederike Kupka steckt gerade in genau so einer Phase. Sie geht seit dem Sommer in das Oberstufenzentrum in Luckenwalde und lernt für ihr Abitur. Ausgleich zum Schulstress findet sie an ihren Lieblingsorten. Die bieten ihr Ruhe, Geborgenheit und freundschaftliche Begegnungen.
Es ist alles noch recht neu. Aber mittlerweile geht es. Friederike Kupka fühlt sich wohl auf ihrer neuen Schule. Im Sommer hat sie ihre alte, die Friedrich-Ludwig-Jahn-Oberschule in Luckenwalde, verlassen. Sie hat ihren 10-Klasse-Abschluss gemacht. Bei der Zeugnisübergabe wurde sie als eine der Besten auf der Schule geehrt.
Nun geht sie auf das Oberstufenzentrum (OSZ) in der Stadt. „Am Anfang lief es etwas unübersichtlich“, sagt die 17-Jährige. Sie sitzt am Wohnzimmertisch, als sie über die ersten Tage spricht. Draußen vor dem Fenster unternimmt der Herbst erste Gehversuche. Es ist windig und regnerisch. Ihre Stimme ist belegt, die ersten kalten Tage haben ihr zugesetzt. In der vergangenen Woche noch hat sie mit hohem Fieber ihre Decke über den Kopf gezogen und sich elend gefühlt.
Viele neue Gesichter
Sie faltet ihre Hände zusammen, spricht über ihre Kurse und die vielen neuen Gesichter, die ihr inzwischen nicht mehr fremd sind. „Wir sind eben eine sehr große Klasse“, sagt sie. Friederike hat 31 Mitschüler. Warum eigentlich chaotisch? „In einigen Kursen mussten wir erst einmal aufgeteilt werden, zum Beispiel in denen mit Computern. Sonst hätte nicht jeder einen alleine nutzen können.“ Das gab ein Durcheinander. Außerdem musste sie sich an das große, ihr fremde Gebäude gewöhnen. „Ich musste mich wirklich zurechtfinden.“
Auf der neuen Schule möchte Friederike ihr Abitur machen. Am Oberstufenzentrum geht das mit einer Spezialisierung. Sie hat sich Gestaltungs- und Medientechnik ausgesucht. Für drei Jahre ist das OSZ nun einer ihrer Lebensmittelpunkte. Kaum fünf Minuten braucht sie zur neuen Schule und wieder zurück nach Hause.
Zuhause ist der 17-Jährigen wichtig. Sie zieht sich in ihr Zimmer, ihr eigenes „kleines Reich“ zurück. Dort kann sie ganz sie selbst sein, fühlt sich unbeobachtet. Dort kann sie traurig, wütend und auch glücklich sein. Es ist ein gemütliches Zimmer. Die Decke ist niedrig. Es hat einige Dachschrägen und kleine Nischen. Ein Balken trennt den Raum in Wohlfühlzone und Arbeitsbereich. Aber irgendwie vermischt sich doch alles.
Erinnerungen und Gefühle
Sie hat es vor fünf Jahren selbst gestaltet, als ihre Familie in das Haus zog. Hat sogar die Wände selbst gestrichen. Es ist ein typisches Jugendzimmer. Auf dem Schreibtisch liegen Arbeitsblätter scheinbar unordentlich übereinander gestapelt. In der oberflächlichen Unordnung zeigt sich dennoch Struktur. Kleine Klebezettel liegen drapiert neben Stiften, Lineal und anderen Arbeitsmaterialien.
An den Wänden hängen Erinnerungsstücke vergangener Reisen oder Unternehmungen, die sie mit Freunden gemacht hat. Eigentlich sagt sie, weiß sie gar nicht, wo sie anfangen soll. Überall gäbe es im Raum verteilt kleine Dinge oder Fotos, mit denen sie Gefühle verbindet. „Die Großbritannien-Flagge dort ist mir wichtig“, sagt sie und zeigt auf die kleine blau-weiß-rote Flagge an der Wand neben ihrem Bett. „Ich war drei Tage für eine Sprachreise dort. Das waren spannende Tage. Ich will unbedingt nochmal nach Großbritannien, um das Land noch besser kennenzulernen.“ Zeit, findet Friederike, vergeht schnell. Manchmal zu schnell.
Zwei Bibeln und eine Erkenntnis
An einer dunkelroten, mit Gold verzierten Wand steht ihr großes Bett. Einige Kuscheltiere sind zu den Kissen drapiert – auch Erinnerungen. Über und neben dem Bett sind Regale. Funktional, überall lässt sich etwas unterbringen. Es stehen viele verschiedene Bücher darin. Wörterbücher, ein Atlas, Jugendromane und zwei Exemplare der Bibel. „Die eine haben wir für den Konfirmandenunterricht gekauft, die andere habe ich zur Konfirmation bekommen“, sagt Friederike und lacht verlegen.
Friederike Kupka setzt sich auf ihr Bett. Eigentlich, sagt sie, sei das der Mittelpunkt ihres Zimmers. Zwar habe sie sich damals eine schöne Couch ausgesucht und sie mit flauschigen Decken bestückt, doch so richtig bequem sei sie nicht. Jedenfalls nicht so bequem wie das Bett. Außerdem würden ihre Katzen ständig die Krallen darin verewigen. Beim nächsten Mal würde sie ein Stoffsofa wählen. Friederike rutscht zur Wand und lehnt sich an. So sitze sie oft, etwa, wenn sie ihren Fernseher laufen lässt oder Hausaufgaben macht. Meistens ist sie dabei nicht allein. Sissi, eine flauschige weiß-bunte Katze, klettert Tag für Tag zu ihr ins Bett. Abends zum Einschlafen. Morgens zum Aufwachen. Angenehme Routine.
Der Stadtpark und die Menschen
Kann die 17-Jährige in ihrem Zimmer ganz für sich sein, verbindet sie mit dem Stadtpark in Luckenwalde Freundschaft und Menschen. Irgendwie, sagt sie, sei dort immer etwas los, während die Stadt oft schon lange zu schlafen scheint. In den warmen Monaten trifft sie sich im Stadtpark mit ihren Freunden. Sie haben zwei, drei feste Stammbänke. Dort hören sie Musik, tauschen sich aus. Oder sie gehen auf den großen Spielplatz.
Früher schon habe sie viel mit dem Stadtpark verbunden. „Wir waren oft hier, ich habe geschaukelt, bin geklettert“, erinnert sie sich. Sicher ist sie sich nicht, aber vermutlich sei es der größte Spielplatz in Luckenwalde. Ein Abenteuer für jedes Kind. Nur die Rutsche, vor der scheute sie sich früher. Sie ist hoch und in das Metall ist eine Welle gearbeitet. „Ich dachte immer, das würde weh tun“, sagt sie. Inzwischen ist sie zu groß für die Rutsche und die Schaukeln sind zu klein für Friederike. Also spielt sie mit ihren Freunden lieber Basketball. Oder sie dreht sich auf der Platte, von der sie damals immer durch ihren Übermut abgeworfen wurde – und landet heute mit den Füßen statt dem ganzen Körper im Sand.
Junge Gemeinde bedeutet Freundschaft
Menschen, die trifft Friederike Kupka auch in der evangelischen Jungen Gemeinde in Luckenwalde. Einmal in der Woche ist sie dort, inzwischen seit drei Jahren. „Mit den Räumen verbinde ich Freundschaften, die ich dort geknüpft habe“, sagt sie. „Ich fühle mich einfach entspannt, wenn ich in die Zimmer dort gehe.“ Die seien familiär eingerichtet, hätten eine bunte Mischung verschiedener gemütlicher Möbelstücke.
„Mit den Räumen der Jungen Gemeinde verbinde ich Freundschaften, die ich dort geknüpft habe. Ich fühle mich einfach entspannt, wenn ich in die Zimmer dort gehe.“
Friederike Kupka
Friederike sitzt an einer großen Tafel auf der aus Holzdielen gebauten Terrasse der Jungen Gemeinde. Es dämmert und im Hintergrund ragt der 72-Meter-Turm der Jakobikirche gen Himmel. Als das Gotteshaus im neugotischen Stil gebaut wurde, sollte sich der Turm gegen die großen Schornsteine der Industriestadt durchsetzen. Heute steht er für sich, die Schornsteine sind längst abgetragen.
Ein Ort, der sich wandelt
In der Mitte der langen Tafel vor der Kirchenkulisse steht ein Topf mit Lauchsuppe. Die Jugendlichen haben sie selbst gekocht. „Mit einer extra Ladung Kümmel“, sagt ein Jugendlicher. Er lacht. Eine Menge Gewürze hätten sie ausprobiert. Und statt einer extra Portion Muskat, gab es eben Kümmel. Das gemeinsame Essen hat Tradition, anschließend wird über die Woche gesprochen: Was lief gut, was nicht? Was bewegt sie? In Friederikes Anfangszeit dort kamen bis zu zehn Jugendliche. Mittlerweile sind es 15. „Der Ort verändert sich. Es kommen immer neue Leute und natürlich gehen auch einige, weil sie zum Beispiel wegziehen“, sagt Friederike. Die Junge Gemeinde ist für sie ein Ausgleich zur Schule, zum täglichen Zurechtfinden am OSZ. Zu all den neuen Eindrücken und Verpflichtungen.
Das helle Licht aus dem angrenzenden Raum der Jungen Gemeinde scheint Friederike direkt ins Gesicht. Es hebt ihre hohen Wangen hervor, lässt ihre aufmerksamen Augen blitzen. Und als die 17-Jährige den Tisch gemeinsam mit allen anderen abräumt, weist es ihr den Weg.
Lieblingsplatz ist oft kein Ort, sondern die Menschen dort
Dann wird vor dem lodernden Kamin im Jugendraum gesungen. Auf den Sofas haben sich die Jugendlichen gemütlich auf die Sofas gefleetzt. An ihren Beinen schlängelt sich der Schäferhund der Pfarrerin entlang und stupst einige mit einem Ball im Maul an. Pfarrerin Julia Daser schrammelt Akkorde auf der Gitarre, gibt den Takt vor. Manche singen lauter als andere. Friederike schaut auf ihr Telefon und liest den Text ab. „Knock-knock-knockin‘ on heaven’s door .“ Friederike singt leiser als andere. Rockklassiker sind eben nicht so richtig ihr Ding. Es ist vielmehr die Gemeinschaft, die sie bewegt. Es sind die Menschen, ihre Freunde, die diesen Ort zu einem ihrer drei liebsten machen.
Von Christin Iffert und Annika Jensen