Abgeschottetes Leben in Brandenburg
Florian Knaut, 19 Jahre aus Treuenbrietzen (Potsdam-Mittelmark): Vor einem halben Jahr ist Florian nach Brandenburg gezogen, um eine Ausbildung zum Gesundheits- und Krankenpfleger zu starten. Seine Leidenschaft sind die Menschen. Doch nach der Arbeit ist er allein.
Florian Knaut blickt aus dem Fenster seiner Zweiraumwohnung. Er hat die Gardine mit seiner Hand ein wenig zur Seite geschoben. Das helle Licht strahlt auf sein schmales Gesicht. Es ist still, die hohen Kiefern ragen draußen in Richtung Himmel. Manchmal fühlt sich der 19-Jährige isoliert am Rande der Stadt, halb im Wald. „In meiner Vorstellung hätte ich näher am Geschehen sein müssen, aber entweder bekomme ich davon nichts mit oder es ist hier genauso wie zu Hause“, sagt er.
Florian Knaut ist vor einem halben Jahr nach Treuenbrietzen gezogen, eine Kleinstadt mit rund 8000 Einwohnern am Rande des Landkreises Potsdam-Mittelmark. Keine hundert Meter von seiner Wohnung ist seine Arbeitsstätte, seine Schule. Knaut wird Gesundheits- und Krankenpfleger. Drei Jahre dauert die Ausbildung an der Pflegeschule des Johanniter-Krankenhauses. Zweieinhalb liegen noch vor ihm, die Probezeit hat er gerade bestanden.
Sehnsucht nach dem Leben mit der Familie
Richtig angekommen ist der 19-Jährige noch nicht. Zuhause, das ist noch immer der Ort, in dem er mit einem älteren und einem jüngeren Bruder aufwuchs. Plossig, ein 250-Seelen-Ort in Sachsen-Anhalt, Landleben. „Da gab es im näheren Umkreis nur Ackerland“, sagt er. Und dennoch spürt er manchmal Sehnsucht, vermisst das Leben mit seiner Familie. Es ist weg, das alltäglich warme „Nest aus Geborgenheit.“
Die Vorfreude auf die erste eigene Wohnung, den Schritt in ein eigenständiges Leben ist dem Alltag gewichen. Florian hat es sich schön gemacht in seinen eigenen vier Wänden, eine neue Küche gekauft. Er blickt auf die Schränke. „250 Euro dafür, kaum zu glauben, wie günstig ich sie geschossen habe“, sagt er. Im Mülleimer und auf dem Herd stapeln sich ein paar leere Pizzakartons. „Die erste eigene Wohnung“, sagt er. Gedankenpause. Mit der Zeit habe er erst begriffen, welche Verantwortung sie mit sich bringt – den Haushalt stemmen, Rechnungen bezahlen. Und am Anfang eines Monats, wenn er Miete und Nebenkosten überwiesen hat, bleibt kaum etwas von seinem Lehrlingsgehalt. Zusammen mit dem Kindergeld kommt er klar, sagt Florian. Er muss.
Pflegekräfte in Brandenburg
Pflegeverbände warnen in Brandenburg vor einer Pflegekrise.
Schon jetzt müssen im ganzen Land Menschen von den Diensten und Einrichtungen abgewiesen werden, weil es an Fachkräften mangelt.
Der Pflegeberuf hat in der Gesellschaft ein schlechtes Image. Die Arbeitszeiten sind wenig familienfreundlich, demgegenüber steht eine geringe Bezahlung.
Die Einsamkeit sei das größere Problem. Knaut wünscht sich mehr Angebote für Jugendliche in Treuenbrietzen. Vielleicht kenne er sie auch noch gar nicht, sagt er. Florian ist selbstbewusst, empathisch. Eigentlich falle es ihm leicht, auf Menschen zuzugehen, sagt er. Trotzdem fehlen sie, die Bekannten und Freunde. Sein Wirkungskreis beschränkt sich bisher auf das Krankenhaus und die Pflegeschule.
Hat er eine seiner vielen Praxisphasen, kommt er nach Hause in seine leere Wohnung. „Dann bin ich allein, fühle mich abgeschottet.“ Also fährt er, um Abwechslung in den Alltag zu bringen, an den Wochenenden oft nach Berlin zu einem seiner besten Freunde. Oder immer wieder auch zurück in die Heimat.
Menschen sind den Pflegekräften dankbar
Oder er steigt auf sein Longboard und fährt durch die Sabinchenstadt, wie Treuenbrietzen auch genannt wird. Vieles müsse er erst entdecken, sagt er. Seit etwa anderthalb Jahren fährt der Jugendliche inzwischen Longboard. Das Fahren entspannt ihn. Er ist schnell unterwegs. Genießt es, wenn er gegen den Widerstand des Windes anfährt. „Mit dem Longboard macht man Meter und kann auch mal ein paar Kanten nehmen, ohne gleich auf dem Asphalt zu liegen“, beschreibt er.
„Vielleicht klingt das jetzt doof, aber ich habe mich selten zuvor bei einer Arbeit so wohl gefühlt.“
Florian Knaut
Florian Knaut ist Perfektionist, oft selbstkritisch – und wenn er spricht, dann reflektiert. Er weiß, wo er hin will. Die Arbeit mit Menschen ist sein Ansporn. „Ich finde es toll, mich um sie zu kümmern, mit ihnen zu reden, sie zu pflegen.“ Er spricht von Geborgenheit und Dankbarkeit. Nicht alle Patienten könnten das in Worte fassen. „Aber ich spüre es“, sagt er. Es bestätigt die Wahl seines Berufsfeldes. Manchmal ärgert ihn die Oberflächlichkeit von jenen, die den Beruf in eine Schublade stecken und glauben, es ginge nur darum, älteren Menschen bei der Körperhygiene zu helfen. Einige würden schlecht darüber sprechen oder ihn belächeln. „Dabei wissen sie gar nicht, was wirklich alles dahinter steckt“, sagt der 19-Jährige. Früher, das gibt er zu, habe er ähnlich gedacht. Das war der Zeitpunkt, als er sich sicher war, Erzieher werden zu wollen.
Doch es gibt Zufälle im Leben, die den Weg weisen. So wie der, als Florian einen Tag vor Ferienende seiner ersten Ausbildung zum Sozialassistenten die Bewerbungsunterlagen in einem Altenpflegeheim in Sachsen-Anhalt abgab. Er muss lachen, als er daran zurückdenkt. „Ich hatte die Praktikumsphase einfach verpeilt“, sagt Knaut. Also stand er mit seinen zum Zopf gebundenen Haaren vor der Einrichtungsleiterin und erklärte, dass zwischen Bewerbung und Praktikumsbeginn nur noch zwei Tage liegen sollten. „Sie hat mich erst mal skeptisch angesehen, mich regelrecht gemustert und mir einige Fragen gestellt.“ Und er habe gehofft, ja gebetet, dass es klappt. Sie gab ihm die Chance. Er fand seine Berufung. „Vielleicht klingt das jetzt doof, aber ich habe mich selten zuvor bei einer Arbeit so wohl gefühlt“, sagt er. Florian Knaut hat das, was ein Krankenpfleger braucht: Leidenschaft. Dass er sich für eine Ausbildung in Treuenbrietzen entschied, lag an der Pflegeschule. In den drei Jahren der Ausbildung gewinnt er neben der Pflege auch medizinisches Wissen.
Aufgeschmissen ohne öffentliche Verkehrsmittel
Die Stille in seiner Küche wird von dem Vibrieren seines Smartphones in der eng anliegenden blauen Jeans durchdrungen. Einer seiner besten Freunde wartet in Berlin auf Antwort. Florian überlegt, ob er noch nach Berlin fährt, mit dem Gefühl der Isolation in der Kleinstadt bricht. Berlin, die Großstadt, war nie ein Auswahlkriterium für Treuenbrietzen. Und doch genießt er jetzt die Nähe. „Da ist immer was los“, sagt er. Knaut meint nicht die vielen Clubs, die brauche er nicht. Er meint den Kontakt zu Menschen, zu Freunden und die Treffen in einer Bar, die Gespräche. Zehn Minuten braucht er zu Fuß zum Bahnhof. Ohne die öffentlichen Verkehrsmittel wäre er aufgeschmissen, sagt er. Er hat weder Führerschein noch Auto. Ein Ziel, das er sich in naher Zukunft mit dem Leben in der Kleinstadt gesetzt hat.
Das Vibrieren verstummt. Knaut steckt das Telefon zurück in die Tasche. Heute bleibt er in Treuenbrietzen. Er hat noch viel Zeit nach Berlin zu fahren. Mindestens zweieinhalb Jahre lang.
Von Christin Iffert